Vergütung von tariflicher Altersfreizeit bei Teilzeitbeschäftigten

Auch Teilzeitbeschäftigte haben Anspruch auf tarifliche Altersfreizeit unter Fortzahlung der Vergütung

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Wieder einmal geht es in einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts um die Frage der Gleichbehandlung zwischen Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigten bzw. um die Anforderungen an die sachliche Rechtfertigung bei einer Ungleichbehandlung.

Gegenstand der Entscheidung war eine Regelung des zwischen dem Bundesarbeitgeberverbandes Chemie e.V. und der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie geschlossenen Manteltarifvertrages vom 24.6.1992 (idF vom 17.5.2017 nunmehr 20.9.2018, nachfolgend MTV). Dort ist in § 2 I 1 für Vollzeitkräfte eine wöchentliche Sollarbeitszeit von 37,5 Stunden vorgesehen. In § 2 a Nr.1 I des MTV ist dann geregelt, dass Arbeitnehmer, die das 57. Lebensjahr vollendet haben, eine 2 ½ stündige Altersfreizeit pro Woche erhalten können. Für die ausgefallene Arbeitszeit wird das Grundentgelt fortgezahlt, § 2 a Nr. 5 MTV. Diese Vorschrift beinhaltet also neben dem zeitlichen auch einen monetären Aspekt. Der Anspruch entfällt, wenn die vereinbarte Arbeitszeit um 2 ½ Stunden oder mehr unter der tariflichen Arbeitszeit liegt, der oder die Beschäftigte also ohnehin weniger als 35 Wochenstunden arbeitet, § 2 a Nr. 1 II 2 MTV.

Geklagt hatte nun ein über 57jähriger Arbeitnehmer, der mit 30 Wochenstunden teilzeitbeschäftigt war und das Bundesarbeitsgericht hat seinen Anspruch auf Gewährung der bezahlten Altersfreizeit bestätigt. Sein Antrag auf Gewährung der Altersfreizeit kann nicht nach § 2 a Nr.1 II 2 MTV abgelehnt werden.

Nach Auffassung des Gerichts werden durch diese Regelung in Teilzeit beschäftigte Arbeitnehmer wegen ihrer Teilzeittätigkeit gegenüber vergleichbaren Vollzeitbeschäftigten benachteiligt. Während Vollzeitbeschäftigten eine bezahlte Freistellung von der Arbeitspflicht ermöglicht wird, können Teilzeitbeschäftigte, die unter 35 Wochenstunden beschäftigt sind, diese nicht beanspruchen - auch nicht anteilig - und es wird ihnen auch eine teilbare geldwerte Leistung nicht in dem Umfang gewährt, der dem Anteil ihrer Arbeitszeit an der Vollarbeitszeit entspricht. Die nach § 2 a Nr.1 II 2 MTV ausgeschlossenen Teilzeitkräfte werden bei gleicher Arbeitsleistung schlechter vergütet als in Vollzeit tätige Arbeitnehmer/-innen, denen die Altersfreizeit bei Entgeltfortzahlung ermöglicht wird. Damit missachtet diese Regelung im MTV das in § 4 I TzBfG normierte Diskriminierungsverbot.

An dieser Bewertung ändert sich auch nichts durch die Berücksichtigung des weiten Gestaltungsspielraums, der den Tarifvertragsparteien bei der Normierung tarifvertraglicher Regelung zusteht. Dieser ergibt sich  aufgrund der geschützten Tarifautonomie aus Art. 9 III GG. Die Regelungsbefugnisse der Tarifvertragsparteien finden aber ihre Grenzen in entgegenstehendem zwingenden Gesetzesrecht. Tarifliche Regelungen müssen mit höherrangigem Recht - hier § 4 I TzBfG - vereinbar sein. Wenn also eine Differenzierung vorgenommen wird, muss diese durch sachliche Gründe gerechtfertigt sein. Die Ungleichbehandlung muss einem echten Bedarf entsprechen und zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet und erforderlich sein.

Das Gericht sieht hier keine sachlich gerechtfertigten Gründe. Die Tarifvertragsparteien wollten mit der Regelung dem Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer/-innen Rechnung tragen. Hier stellt allein die Dauer der Arbeitszeit das Kriterium dar, an das die Differenzierung hinsichtlich der unterschiedlichen Arbeitsbedingungen anknüpft. Eine strikte Grenzziehung bei der Bewertung des Erholungsbedürfnisses bei 35 Wochenstunden, die nicht von der konkreten Tätigkeit oder anderen Umständen abhängt, mit der Konsequenz, dass bei unter 35 Wochenstunden Beschäftigten ein Freizeitanspruch vollständig abgelehnt wird, ist nicht durch Unterschiede im Tatsächlichen nach § 4 I 1 TzBfG sachlich gerechtfertigt.

Da also auch keine sachlichen Gründe für die Ungleichbehandlung von Voll- und Teilzeitkräften ersichtlich sind, ist die Regelung im MTV nach § 134 BGB nichtig und kann eine Ablehnung eines entsprechenden Antrages auf Gewährung der Altersfreizeit nicht rechtfertigen.

Fazit

Das Bundesarbeitsgericht führt die bisherige Linie fort: Tarifvertragliche Regelungen werden grundsätzlich nicht von der Rechtsprechung überprüft, es sei denn, sie sind wegen des Verstoßes gegen zwingendes Recht nichtig. Unterschiedliche Arbeitsbedingungen Voll- und Teilzeitbeschäftigter hinsichtlich Freistellung und Bezahlung, die allein mit dem unterschiedlichen Arbeitsumfang gerechtfertigt werden, sind unzulässig. 

BAG Urteil vom 22.10.2019, 9 AZR 71/19

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(Artikel erstellt am 30.06.2020)

 

Die Verfasserin

Foss WEB rund

Rechtsanwältin Kristin Foss

Rechtsanwältin und PIW-Trainerin

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Trainingsschwerpunkte

  • Individualarbeitsrecht, z.B. Arbeitszeitrecht, Urlaubsrecht, Rechte und Pflichten bei Krankheit, Umgang mit Befristungen, Mutterschutz und Elternzeit sowie Kündigungsrecht
  • Kollektivarbeitsrecht, z.B. Tarifvertragsrecht, Betriebsverfassungs- oder Personalvertretungsrecht
  • Sozialversicherungsrecht  

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